In „Nature“: Galaxien aus dem Großrechner

8.05.2014

Neue Computersimulation zeigt die Entstehung von Galaxien mit bisher nicht erreichter Präzision. Astrophysiker aus Heidelberg, den USA und England bestätigen damit indirekt das Standardmodell der Kosmologie.

Galaxien enthalten typischerweise einige hundert Milliarden Sterne und zeigen vielfältige Formen und Größen. Ihre Entstehungsgeschichte ist eines der größten und komplexesten Probleme in der Astrophysik. Wissenschaftlern am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS) ist es nun zusammen mit einem internationalem Team von Forschern am MIT, der Harvard University und weiteren Institutionen gelungen, die Physik der Galaxienentstehung in einem riesigen Raumbereich mit sehr hoher Genauigkeit zu simulieren. Im Fachjournal Nature berichten sie, dass dabei erstmals ein realistischer Mix aus elliptischen Galaxien und Spiralgalaxien entstand. Die Simulation kann auch erklären, wie sich schwere Elemente (sogenannte „Metalle“) in neutralem Wasserstoffgas anreichern. Zudem sind die berechneten Galaxien im Raum so verteilt, wie es mit Teleskopen beobachtet wird. Die Datenmenge des „Illustris“ genannten Projekts umfasst mehr als 200 Terabyte und erforderte die Rechenkraft von mehr als 8000 Prozessoren für mehrere Monate. Möglich wurde die Simulation durch den am HITS entwickelten AREPO-Code für kosmische Strukturentstehung und die Supercomputer CURIE in Frankreich und SuperMUC in Deutschland. Das von den Forschern erzeugte virtuelle Universum erlaubt eine Vielzahl neuartiger Voraussagen und damit eine umfassende Prüfung der kosmologischen Theorien zur Galaxienentstehung.

Das kosmologische Standardmodell basiert auf der Hypothese, dass das Universum von unbekannten Materie- und Energieformen dominiert wird. Zwar kennen wir die wahre physikalische Natur dieser Dunklen Materie und Dunklen Energie noch nicht, dennoch kann man ihre Konsequenzen mit Supercomputern nachvollziehen. Bisherige Simulationen des Kosmos erzeugten dabei ein kosmisches Netz aus Materieklumpen, das der Verteilung der Galaxien zumindest ähnelte. Sie konnten aber keine elliptischen und Spiralgalaxien schaffen und die eng verzahnte Entwicklung von interstellarem Gas und den Sternen auf kleinen Skalen nachvollziehen. In dem ambitionierten „Illustris-Projekt“ sind die Kosmologen bei diesem Problem nun ein großes Stück weiter gekommen.

In der weltweit größten hydrodynamischen Simulation der Galaxienentstehung wurde eine Region mit einer Ausdehnung von etwa 350 Millionen Lichtjahren über einen Zeitraum von über 13 Milliarden Jahren verfolgt, beginnend 12 Millionen Jahre nach dem Urknall. Über diesen Zeitraum bilden sich aus der „Ursuppe“ aus Wasserstoff, Heliumgas und Dunkler Materie mit der Zeit immer größere Verklumpungen, zusammengetrieben durch die Wirkung der Schwerkraft. Schließlich formen sich galaktische Sternsysteme, deren Wachstum durch ein komplexes Zusammenspiel von Strahlungsprozessen, hydrodynamischen Stoßwellen, turbulenten Strömungen, Sternentstehung, Supernova-Explosionen und der Energieeinspeisung wachsender superschwerer Schwarzer Löcher reguliert wird. Alle diese physikalischen Prozesse konnte das Illustris-Team in seiner neuen Supercomputer-Simulation mit dem Code AREPO berechnen. AREPO ist ein sogenannter „moving mesh code“, der das simulierte Universum nicht in ein starres Gitter einteilt, sondern bewegliche und veränderliche Gitter verwendet und so die Größen-  und Masseunterschiede zwischen den einzelnen Galaxien besonders genau verarbeiten kann.

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Verschiedene Ansichten der Illustris-Simulation auf unterschiedlichen Skalen. Durch die Berechnung sowohl der Dunklen Materie wie auch der normalen baryonischen Materie ergeben sich Voraussagen für unterschiedlichste physikalische Größen, von der Röntgenleuchtkraft des diffusen Gases in Galaxienhaufen über die Sternverteilung in einzelnen Galaxien bis hin zur Anreicherung des intergalaktischen Mediums mit schweren Elementen. (Bild: Illustris)

Die Hauptsimulation des Projekts hat dabei mehr als 18 Milliarden Teilchen und Zellen eingesetzt und überbrückt einen dynamischen Bereich von mehr als einer Million pro Raumdimension – um ähnlich kleine Details darzustellen, müsste ein Foto eine Million Megapixel groß sein. Der Speicherverbrauch der Illustris-Simulation von mehr als 25 Terabyte und das erzeugte Datenvolumen von mehr als 200 Terabyte setzen in der Kosmologie eine neue Rekordmarke. Diese Datenflut erlaubt es, die Entstehungsgeschichte von etwa 50.000 gut aufgelösten Galaxien im Detail zu studieren und theoretische Voraussagen für kosmische Strukturentstehung mit hoher Genauigkeit zu machen.

Die jahrelangen Vorbereitungen auf die Simulationen haben sich gelohnt: Erstmals kann das berühmte „Stimmgabel-Diagramm“ der Morphologie von Galaxien, das auf Edwin Hubble zurückgeht, reproduziert werden (siehe Abbildung 1). Dr. Mark Vogelsberger (MIT), Erstautor der in Nature erschienenen ersten Studie zu Illustris, meint: „Es ist bemerkenswert, dass die Anfangsbedingungen des Universums, die wir kurz nach dem Urknall beobachten, tatsächlich Galaxien von der richtigen Größe und Gestalt hervorbringen.“ Indirekt kann das als eine Bestätigung des Standardmodells der Kosmologie angesehen werden. „Endlich können wir die alten groben Modelle der Galaxienentstehung hinter uns lassen und nicht nur die Dunkle Materie präzise berechnen“, freut sich Prof. Volker Springel, Leiter der Forschungsgruppe „Theoretical Astrophysics“ am HITS und Autor des AREPO-Codes, und ergänzt: „Die Ergebnisse von Illustris markieren einen Umbruch in theoretischen Studien der Galaxienentstehung.“ Abbildung 2 zeigt einen Überblick über die astrophysikalischen Größen, die von diesem „Universum im Supercomputer“ vorausgesagt werden.

Die wissenschaftliche Veröffentlichung im Original:
M. Vogelsberger, S. Genel, V. Springel, P. Torrey, D. Sijacki, D. Xu, G. Snyder, S. Bird, D. Nelson, L. Hernquist
“Properties of galaxies reproduced by a hydrodynamic simulation”, Nature, May 8th, 2014;
doi:10.1038/nature13316

Weiterführende Links:
Web-Site des Illustris Projekts (mit weiteren Visualisierungen und Videos)
Gauss Centre for Supercomputing
SuperMUC am Leibniz Rechenzentrum
AREPO-Code  (V. Springel, 2010, MNRAS, 401, 791

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Über das HITS

Das HITS (Heidelberger Institut für Theoretische Studien) wurde 2010 von dem Physiker und SAP-Mitbegründer Klaus Tschira (1940-2015) und der Klaus Tschira Stiftung als privates, gemeinnütziges Forschungsinstitut gegründet. Es betreibt Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, der Mathematik und der Informatik. Zu den Hauptforschungsrichtungen zählen komplexe Simulationen auf verschiedenen Skalen, Datenwissenschaft und -analyse sowie die Entwicklung rechnergestützter Tools für die Forschung. Die Anwendungsfelder reichen von der Molekularbiologie bis zur Astrophysik. Ein wesentliches Merkmal des Instituts ist die Interdisziplinarität, die in zahlreichen gruppen- und disziplinübergreifenden Projekten umgesetzt wird. Die Grundfinanzierung des HITS wird von der Klaus Tschira Stiftung bereitgestellt.

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