Die Familie der Trypanosomatida-Parasiten ist ursächlich für eine Reihe schwerer Erkrankungen, unter denen Millionen Menschen leiden. Forscher aus Italien, Belgien und Deutschland haben in einer wissenschaftlichen Studie neue antiparasitäre Verbindungen identifiziert, die ein wichtiges Enzym des Parasiten und damit dessen Wachstum hemmen. Diese Verbindungen sind ein vielversprechender Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Medikamente, die weniger Nebenwirkungen als bisherige Heilverfahren haben.
Modena/Brüssel/Heidelberg. Trypanosomatida sind intrazellulär lebende Parasiten, die beim Menschen schwerwiegende Krankheiten wie die afrikanische Schlafkrankheit, die Chagas-Krankheit oder Leishmaniose verursachen. Mit der Leishmaniose sind weltweit ungefähr zwölf Millionen Menschen infiziert, wovon die meisten in Entwicklungsländern leben. Mit gegenwärtigen Medikamenten kann die Krankheit nur unzureichend behandelt werden, da einerseits eine hohe Toxizität und damit starke Nebenwirkungen auftreten und andererseits die Parasiten schnell resistent werden.
Jetzt haben europäische Wissenschaftler neue biochemische Verbindungen entdeckt, die dabei helfen können, diese Krankheiten effektiver zu bekämpfen. Die Forschungsgruppen unter der Leitung von Maria Paola Costi (Universität Modena und Reggio Emilia, Italien), Rebecca Wade (HITS, Heidelberger Institut für Theoretische Studien, Deutschland) und Paul Michels (De Duve Institut, Belgien) wurden dabei von der Stiftung “Cassa di Risparmio di Modena” unterstützt. Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich im Journal of Medicinal Chemistry veröffentlicht.
Die Trypanosomatida-Parasiten brauchen die Stoffwechselprodukte Folat und Biopterin, um zu überleben. Diese Stoffe werden von den Enzymen Dihydrofolatreduktase (DHFR) und Pteridinreductase (PTR1) verarbeitet. Wird das Enzym DHFR blockiert, wird die Replikation der DNS beeinträchtigt und die Parasiten sterben ab. Das Problem hierbei ist, dass bei den Trypanosomatida das Enzym PTR1 die Verarbeitung von Folat übernehmen kann – das Überleben der Parasiten wird somit gewährleistet. Bei der Behandlung parasitärer Erkrankungen ist es daher notwendig, gleichzeitig zwei Stoffwechselwege zu hemmen, indem DHFR und PTR1 von einem einzigen Medikament oder einer Kombination zweier spezifischer Hemmstoffe blockiert wird. Da PTR1 nicht im Menschen vorkommt, können spezielle Verbindungen entwickelt werden, die gezielt nur die Parasiten bekämpfen.
Die Wissenschaftler haben in diesem Projekt einen virtuellen mit einem experimentellen Suchansatz kombiniert, um spezifische Hemmstoffe gegen PTR1 des Leishmanioseerregers zu identifizieren, die nicht dem Stoffwechselprodukt Folat ähnlich sind. Hierzu wurde durch strukturbasierte Wirkstoffdesigns zunächst die Spezifität der Hemmstoffe gegen das Enzym PTR1 und danach die Selektivität gegenüber menschlichem DHFR verbessert. Ergebnis dieser Analyse waren 18 medikamentenartige Moleküle, die im Reagenzglas eine Wirkung im niedrigen mikromolaren Bereich sowie eine hohe Spezifität zeigten. Experimente zur Wirksamkeit gegenüber kultivierten Zellen des Erregers der Leishmaniose ergaben, dass sechs Verbindungen in Kombination mit DHFR-Hemmstoffen aktiv waren, wobei eine davon auch alleine wirksam war. Zudem wiesen einige dieser Verbindungen eine niedrige Toxizität auf – eine davon ist ein bekanntes Medikament für die Behandlung von Krankheiten des zentralen Nervensystems. Dieses Medikament könnte ein guter Ausgangspunkt für die effektivere Behandlung parasitärer Erkrankungen werden.
Der wissenschaftliche Artikel im Original:
Ferrari et al., Virtual Screening Identification of Nonfolate Compounds, Including a CNS Drug, as Antiparasitic Agents Inhibiting Pteridine Reductase. J. Med. Chem. (2011) 54, 211-221. doi: 10.1021/jm1010572
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41100 Modena,
Italy
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Prof. Paul Michels
Research Unit for Tropical Diseases,
De Duve Institute and Laboratory of Biochemistry,
Universite catholique de Louvain,
Avenue Hippocrate 74,
B-1200 Brussels,
Belgium
Universität Modena und Reggio Emilia (UNIMORE)
UNIMORE ist eine der ältesten Univeritäten Europas mit heute über 20.000 Studierenden. Acht der zwölf Fakultäten dieser Forschungsuniversität liegen in Modena, darunter auch die Pharmazie-Fakultät mit der Abteilung für pharmazeutische Wissenschaften.
www.unimore.it
HITS (Heidelberger Institut für Theoretische Studien)
HITS ist ein privates, gemeinnütziges Forschungsinstitut. Das HITS betreibt Grundlagenforschung in verschiedenen Bereichen der Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik.
De Duve Institut, Université catholique de Louvain
Das de Duve Institut ist ein multidiziplinäres biomedizinisches Forschungsinstitut, das mehrere Labore der medizinischen Fakultät der UCL (Université catholique de Louvain), sowie des Brüsseler Zweigs des Ludwig Institut beherbergt.
www.deduveinstitute.be
Das HITS (Heidelberger Institut für Theoretische Studien) wurde 2010 von dem Physiker und SAP-Mitbegründer Klaus Tschira (1940-2015) und der Klaus Tschira Stiftung als privates, gemeinnütziges Forschungsinstitut gegründet. Es betreibt Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, der Mathematik und der Informatik. Zu den Hauptforschungsrichtungen zählen komplexe Simulationen auf verschiedenen Skalen, Datenwissenschaft und -analyse sowie die Entwicklung rechnergestützter Tools für die Forschung. Die Anwendungsfelder reichen von der Molekularbiologie bis zur Astrophysik. Ein wesentliches Merkmal des Instituts ist die Interdisziplinarität, die in zahlreichen gruppen- und disziplinübergreifenden Projekten umgesetzt wird. Die Grundfinanzierung des HITS wird von der Klaus Tschira Stiftung bereitgestellt.
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