Eine Milchstraße aus dem Supercomputer

10.03.2014

Die Entstehung von Scheibengalaxien ähnlich der Milchstraße hat die Kosmologie lange vor enorme Rätsel gestellt: Die Computersimulationen produzierten bislang in der Regel viel zu massereiche und kleine Scheiben. Wissenschaftlern am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS) ist es nun gelungen, die Rechnungen durch Einbeziehung weiterer physikalischer Prozesse, insbesondere von Magnetfeldern, entscheidend zu verbessern. Sie bildeten mit Hilfe neuartiger numerischer Verfahren auf einem leistungsfähigen Supercomputer eine virtuelle Galaxie, die unserer Michstraße stark ähnelt. Erstmals konnten sie dabei auch die erwartete Struktur des Magnetfelds in einer Galaxie direkt aus den Anfangsbedingungen nach dem heißen Urknall berechnen. Die Ergebnisse wurden in einer Fachpublikation in den „Astrophysical Journal Letters“ veröffentlicht.

Unser Universum ist von Magnetfeldern durchdrungen – man findet sie auf der Erde, in und um die Sonne, und auch in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße. Oft sind die Magnetfelder schwach: Das Magnetfeld der Erde zum Beispiel ist nicht stark genug, um das Wettergeschehen auf unserem Planeten entscheidend zu beeinflussen. In Galaxien wie der Milchstraße ist es jedoch so stark, dass der magnetische Druck auf das interstellare Gas in der galaktischen Scheibe ähnlich groß wie der Wärmedruck ist. Daraus schließen Astrophysiker, dass Magnetfelder hier eine wichtige Rolle spielen könnten. Allerdings ist der Ursprung dieser galaktischen Magnetfelder weiterhin rätselhaft. Bisherige Hypothesen argumentieren, dass entweder direkt nach dem Urknall bereits überall ein sehr schwaches Magnetfeld existierte, das dann im Laufe der Zeit verstärkt wurde, oder dass das Feld von den ersten Sternen erzeugt und dann in der Galaxie verteilt wurde. Computersimulationen, die die Entstehung und Entwicklung von Galaxien seit dem Urknall verfolgen, sollten im Prinzip in der Lage sein, diese Frage zu beantworten. Sie sind aber bisher meist daran gescheitert, dass die berechneten Galaxien nicht mit astronomischen Beobachtungen übereinstimmten. Oder die Simulationen waren nicht in der Lage, die Entwicklung der Magnetfelder mit zu verfolgen. Letzteres ist mathematisch und numerisch wesentlich anspruchsvoller als die pure Gasdynamik, mit der Galaxien üblicherweise berechnet werden.

Den Autoren einer neuen Studie des HITS ist es nun mit Hilfe des massiv parallelen Simulationscodes AREPO erstmals gelungen, beide Probleme zu lösen. AREPO ist ein sogenannter „moving mesh code“, der das simulierte Universum nicht in ein starres Gitter einteilt, sondern bewegliche und veränderliche Gitter verwendet und so die Größen-  und Massenunterschiede zwischen den einzelnen Galaxien besonders genau verarbeiten kann. AREPO wurde am HITS entwickelt. In einer detaillierten Simulation der Entstehung einer Scheibengalaxie ähnlich der Milchstraße konnten die Forscher die Entwicklung und Verstärkung magnetischer Felder miteinbeziehen. Die Rechnungen erforderten die geballte Kraft vieler Prozessoren des Supercomputers SuperMUC am Leibniz Rechenzentrum in Garching im Rahmen eines Projekts des deutschen Gauss Centre for Supercomputing.

„Bereits ein minimales, vom Urknall hinterlassenes Magnetfeld reicht aus, um die heute beobachteten, viele Größenordnungen stärkeren Magnetfelder zu erklären“ fasst Dr. Rüdiger Pakmor, Erstautor der Studie, die Ergebnisse zusammen. Die HITS-Astrophysiker konnten in der Simulation außerdem zeigen, dass das Magnetfeld zunächst über einen Zeitraum von ungefähr 1 Milliarde Jahre durch die Bewegung der Gasmassen im Universum exponentiell anwächst, bis es eine gleichbleibende mittlere Stärke erreicht, unabhängig von der Stärke des Ursprungsfeldes. Sobald die ersten Scheibengalaxien entstanden sind (ca. 2,5 Milliarden Jahre nach dem Urknall), führt die Rotationsbewegung der Scheibe dann dazu, dass das Magnetfeld zusätzlich linear anwächst. Gleichzeitig rotiert das Gas in der Scheibe und zieht die magnetischen Feldlinien in dieser Bewegung mit, ähnlich wie sich Eisenspäne an einem Magneten ausrichten. „Interessanterweise stimmt die in der Simulation beobachtete Stärke des Magnetfeldes nicht nur sehr gut mit gemessenen Werten für die Milchstraße und benachbarte Spiralgalaxien überein“, so Ko-Autor Dr. Federico Marinacci, „der vertikale und horizontale Verlauf des Magnetfeldes deckt sich ebenfalls mit den Beobachtungen.“

Prof. Volker Springel, Leiter der Forschergruppe „Theoretical Astrophysics“ am HITS und Autor des AREPO-Codes, erklärt: „Endlich haben wir bei dem vertrackten Problem der Entstehung von Scheibengalaxien einen Durchbruch erzielt. Es ist faszinierend, dass wir gleichzeitig die Entstehung des Magnetfeldes der Milchstraße erklären können.“ Diese Erkenntnisse sollten in Zukunft auch helfen, die Ablenkung von Teilchen der kosmischen Strahlung im Magnetfeld der Milchstraße besser zu verstehen und damit den Quellen der kosmischen Strahlung, einem bedeutenden Problem der beobachtenden Astronomie, auf die Spur zu kommen.

Die wissenschaftliche Veröffentlichung im Original:
Magnetic field in cosmological simulations of disk galaxies. R. Pakmor, F. Marinacci, V. Springel, 2014, Astrophysical Journal Letters, 783, L20, http://stacks.iop.org/2041-8205/783/L20  (preprint: http://arxiv.org/abs/1312.2620)

Weiterführende Links:
Gauss Centre for Supercomputing  http://www.gauss-centre.eu/
SuperMUC am Leibniz Rechenzentrum  http://www.lrz.de/services/compute/supermuc/
AREPO-Code  (V. Springel, 2010, MNRAS, 401, 791 http://mnras.oxfordjournals.org/content/401/2/791.full.pdf+html)

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Über das HITS

Das HITS (Heidelberger Institut für Theoretische Studien) wurde 2010 von dem Physiker und SAP-Mitbegründer Klaus Tschira (1940-2015) und der Klaus Tschira Stiftung als privates, gemeinnütziges Forschungsinstitut gegründet. Es betreibt Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, der Mathematik und der Informatik. Zu den Hauptforschungsrichtungen zählen komplexe Simulationen auf verschiedenen Skalen, Datenwissenschaft und -analyse sowie die Entwicklung rechnergestützter Tools für die Forschung. Die Anwendungsfelder reichen von der Molekularbiologie bis zur Astrophysik. Ein wesentliches Merkmal des Instituts ist die Interdisziplinarität, die in zahlreichen gruppen- und disziplinübergreifenden Projekten umgesetzt wird. Die Grundfinanzierung des HITS wird von der Klaus Tschira Stiftung bereitgestellt.

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