Forschungsveröffentlichung aus der angewandten Mathematik von der Fachgesellschaft SIAM gewürdigt
Für eine wissenschaftliche Arbeit über die computergestützte Simulation von Strömungsvorgängen, die im vergangenen Jahr in einer der fünf Fachzeitschriften der Society for Industrial and Applied Mathematics (SIAM) erschienen ist, haben die Autoren eine der höchstmöglichen Auszeichnungen auf dem Gebiet der angewandten Mathematik erhalten: Unter den SIAM-Veröffentlichungen wurde das Heidelberger Paper als der Beitrag ausgewählt, der sich durch hervorragende Forschungserkenntnisse von besonderer allgemeiner Bedeutung ausweist. Die zugrundeliegenden Arbeiten wurden am Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen (IWR) der Universität Heidelberg und am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS) gemeinsam mit französischen Wissenschaftlern durchgeführt. Im Rahmen des sogenannten SIGEST-Programms erfährt jedes Jahr nur eine Veröffentlichung diese Würdigung durch die Fachgesellschaft SIAM.
Die computergestützte Simulation von sogenannten periodischen Strömungsvorgängen ist ein zentrales Element, um den Übergang von laminaren zu turbulenten oder chaotischen Strömungen zu verstehen. Dabei verwandelt sich eine gleichmäßige, wohlgeordnete Bewegung von Flüssigkeiten oder Gasen in eine Strömung mit sichtbaren Turbulenzen. Die Verwirbelungen in der Übergangsphase können mit bloßem Auge zum Beispiel an Brückenpfeilern beobachtet werden, die in einen Fluss ragen. Nach den Worten von Prof. Dr. Vincent Heuveline sind periodische Strömungsmuster allgemein sehr komplex. Für die Modellierung muss eine Vielzahl von Parametern berücksichtigt werden, die sich nur mit einer gewissen Unsicherheit, etwa durch Messungenauigkeiten, ermitteln lassen. „Ihre Berechnung wurde im Bereich der angewandten Mathematik immer wieder als ,Grand Challenge‘, als große Herausforderung, bezeichnet“, so Prof. Heuveline, der Forschungsgruppenleiter am IWR ist und zugleich eine assoziierte Gruppe am HITS leitet. „Grundsätzlich war lange Zeit nicht klar, ob die Dynamik solcher Lösungen überhaupt mathematisch modelliert werden kann.“
Den Wissenschaftlern ist es nun gelungen, dieses Problem mit Hilfe von Ansätzen aus der Optimierung, der Numerik und der Stochastik zu lösen. Dabei wurde die Suche nach optimalen Parametern eines komplexen Systems und die Entwicklung neuer Algorithmen für kontinuierliche mathematische Probleme zusammengeführt mit stochastischen Methoden, die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik verbinden. So entwickelte das deutsch-französische Forscherteam ein neues computergestütztes Verfahren, mit dem periodische Strömungsvorgänge „hochakkurat berechnet werden können“, wie Prof. Heuveline erläutert. Die grundlegende Idee basiert darauf, die Strömung als Kombination einer stochastischen Periode und eines stochastischen Anfangszustandes zu charakterisieren. Ein Optimierungsschritt sorgt dafür, dass Anfangs- und Endzustand nach einer Periodenlänge möglichst nah beieinander liegen. Dieses Vorgehen wird schrittweise wiederholt, bis eine akzeptable Genauigkeit erreicht wird. „Von entscheidender Bedeutung dabei ist, das Unsicherheiten als neue Dimension in den zugehörigen Gleichungen modelliert werden“, sagt der Erstautor der Studie, Dr. Michael Schick. Dies führt jedoch zu einer explosionsartigen Vergrößerung in der Zahl der zu lösenden Variablen, wie der Mathematiker erläutert. Um diese Zahl möglichst gering zu halten, wird zusätzlich zu dem Optimierungsschritt eine sogenannte stochastische Zeit definiert. „Auf diese Weise können wir unsicherheitsbedingte Schwankungen in der periodischen Lösung abfangen. Erst dadurch sind außerordentlich genaue Simulationen möglich“, betont Dr. Schick, der dem Team von Prof. Heuveline angehört.
Die Forschungsergebnisse wurden 2014 im „SIAM/ASA Journal on Uncertainty Quantification“ veröffentlicht. Mit der aktuellen Auszeichung soll das Paper Anfang 2016 erneut publiziert werden und im Journal „SIAM Review“ in der SIGEST-Rubrik erscheinen. Der Beitrag wird außerdem im Rahmen einer SIAM-Jahrestagung vorgestellt. An der Forschungsveröffentlichung hat neben Dr. Schick und Prof. Heuveline auch Prof. Dr. Olivier Le Maître vom Laboratoire d’Informatique pour la Mécanique et les Sciences de l’Ingénieur (LIMSI) in Paris mitgewirkt.
Origingalveröffentlichung:
M. Schick, V. Heuveline and O.P. Le Maître: A Newton-Galerkin Method for Fluid Flow Exhibiting Uncertain Periodic Dynamics. SIAM/ASA Journal on Uncertainty Quantification (2014), Vol. 2,
No. 1, pp. 153-173, doi: 10.1137/130908919
Pressekontakt:
Dr. Peter Saueressig
Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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Twitter: @HITStudies
Das HITS (Heidelberger Institut für Theoretische Studien) wurde 2010 von dem Physiker und SAP-Mitbegründer Klaus Tschira (1940-2015) und der Klaus Tschira Stiftung als privates, gemeinnütziges Forschungsinstitut gegründet. Es betreibt Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, der Mathematik und der Informatik. Zu den Hauptforschungsrichtungen zählen komplexe Simulationen auf verschiedenen Skalen, Datenwissenschaft und -analyse sowie die Entwicklung rechnergestützter Tools für die Forschung. Die Anwendungsfelder reichen von der Molekularbiologie bis zur Astrophysik. Ein wesentliches Merkmal des Instituts ist die Interdisziplinarität, die in zahlreichen gruppen- und disziplinübergreifenden Projekten umgesetzt wird. Die Grundfinanzierung des HITS wird von der Klaus Tschira Stiftung bereitgestellt.
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