Wissenschaftler/-innen aus Heidelberg haben einen neuen Weg gefunden, die Entstehung von Krebs mit Hilfe von mathematischen Modellen nachzuverfolgen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachmagazin PLOS Computational Biology veröffentlicht.
Krebs ist eine Krankheit, die durch genetische Veränderungen verursacht wird. Diese Veränderungen können jede Komponente eines Gens betreffen, allerdings führen nur einige zu einer Veränderung der Funktion der Zelle und somit letztendlich zu Krebs. Diese sogenannten „Driver-Mutationen“ können häufig und in unterschiedlicher Reihenfolge auftreten. Derzeit wird davon ausgegangen, dass die Reihenfolge der Driver-Mutationen mit dem Verlauf der Krebserkrankung und somit auch mit der klinischen Behandlung sowie der möglichen Prävention zusammenhängt. Zellen mit einer Driver-Mutation, bei denen das Risiko besteht, dass sie zu einem Tumor heranwachsen, sind jedoch für lange Zeit klinisch nicht feststellbar. Dies bedeutet, dass die frühe Entstehung von Krebs, die als Karzinogenese bezeichnet wird, ein zunächst unsichtbarer Prozess ist. Neue Ansätze können die Situation jedoch verbessern: Software zur Analyse von Tumordaten und mathematische Modelle bieten eine Möglichkeit, diesen „Black-Box-Prozess“ der Entstehung von Krebs zu entschlüsseln und so ein besseres Verständnis der damit verbundenen biologischen Prozesse zu erhalten.
Ein Team von Wissenschaftler/-innen, darunter Mathematiker/-innen vom HITS, dem Uniklinikum Heidelberg und der Universität Heidelberg, hat nun ein mathematisches Modell für die Berechnung von verschiedenen molekularen Wegen der Karzinogenese entwickelt, das medizinische Datensätze verwendet. Das Modell basiert auf gewöhnlichen Differentialgleichungen und wird häufig zur Berechnung von Evolutionsprozessen verwendet, z. B. in der Epidemiologie und der Krebsforschung. Darüber hinaus verwendet das Modell das sogenannte „Kronecker-Produkt“, das eine präzise mathematische Analyse der Daten und eine anschließende medizinische Interpretation ermöglicht. Es besteht aus mehreren Komponenten, um abhängige und unabhängige Mutationsprozesse zu berücksichtigen, also Mutationen, die von anderen Mutationen beeinflusst werden oder auch nicht. Das Team von Mathematiker/-innen kann daher mit Hilfe dieser Methode viele medizinische Aspekte in ihre Analyse mit einbeziehen. Für den nun veröffentlichten Fachartikel fokussierten sich die Wissenschaftler/-innen zunächst auf die Krebsentstehung im Dickdarm, genauer gesagt das am häufigsten vererbte Darmkrebs-Syndrom (Lynch-Syndrom). Die Ergebnisse der jetzigen Berechnungen stimmen mit den aktuellen klinischen Tumordaten überein und können so wichtige Hinweise auf die verschiedenen Stadien der Krebsentstehung geben. Der neue Ansatz bietet darüber hinaus einen modularen Rahmen für verschiedene Krebsarten und kann mit Hilfe einiger Modifikationen in Zukunft auch auf andere Organe angewendet werden.
In einem weiteren Schritt werden die Wissenschaftler/-innen ihren Modellierungsansatz weiter verfeinern, um neu generierte medizinische Daten mit einzubeziehen und die Auswirkungen verschiedener Präventions-, Diagnose- und Behandlungsstrategien zu analysieren. Ziel ist es, auf Grundlage der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse die klinische Behandlung von Krebspatient/-innen sowie die Präventionsmöglichkeiten von Risikopatient/-innen zu optimieren.
Die Forschungsarbeit entstand im Rahmen der sogenannten “Mathematics in Oncology” Kooperation, einer Zusammenarbeit von verschiedenen Wissenschaftler/-innen und Institutionen. Zum Forschungsteam gehören Saskia Haupt und Vincent Heuveline (DMQ Gruppe am HITS und EMCL Gruppe an der Universität Heidelberg), Alexander Zeilmann (Universität Heidelberg), Hendrik Bläker (Institut für Pathologie, Uniklinikum Leipzig) sowie Aysel Ahadova, Magnus von Knebel Doeberitz und Matthias Kloor (Abteilung für Angewandte Tumorbiologie (ATB) am Uniklinikum Heidelberg).
Link zum Fachartikel: Mathematical modeling of multiple pathways in colorectal carcinogenesis using dynamical systems with Kronecker structure
Haupt S, Zeilmann A, Ahadova A, Bläker H, von Knebel Doeberitz M, et al. (2021) Mathematical modeling of multiple pathways in colorectal carcinogenesis using dynamical systems with Kronecker structure. PLOS Computational Biology 17(5): e1008970. https://doi.org/10.1371/journal.pcbi.1008970
Das HITS (Heidelberger Institut für Theoretische Studien) wurde 2010 von dem Physiker und SAP-Mitbegründer Klaus Tschira (1940-2015) und der Klaus Tschira Stiftung als privates, gemeinnütziges Forschungsinstitut gegründet. Es betreibt Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, der Mathematik und der Informatik. Zu den Hauptforschungsrichtungen zählen komplexe Simulationen auf verschiedenen Skalen, Datenwissenschaft und -analyse sowie die Entwicklung rechnergestützter Tools für die Forschung. Die Anwendungsfelder reichen von der Molekularbiologie bis zur Astrophysik. Ein wesentliches Merkmal des Instituts ist die Interdisziplinarität, die in zahlreichen gruppen- und disziplinübergreifenden Projekten umgesetzt wird. Die Grundfinanzierung des HITS wird von der Klaus Tschira Stiftung bereitgestellt.
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