Ein explosives Ergebnis

13.01.2020

Kernphysikern aus Finnland, Dänemark und Deutschland ist es im Experiment gelungen, Kernprozesse bei Bedingungen zu bestimmen, die zehn Millionen Mal dichter und 25 Mal heißer als im Mittelpunkt unserer Sonne sind. Ein Ergebnis der Messungen: Sterne mittlerer Masse werden mit hoher Wahrscheinlichkeit explodieren und nicht kollabieren, wie bisher angenommen. Dreidimensionale Computersimulationen von Astrophysikern am Heidelberger Instituts für Theoretische Studien (HITS) und am Los Alamos National Laboratory in den USA bestätigten dies. Die Studie wurde nun im Fachmagazin Physical Review Letters veröffentlicht.

Ausschnitt aus einer dreidimemnsionalen Computersimulation: Entgegen bisheriger Annahmen ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass der Stern von einer thermonuklearen Explosion zerstört wird, als dass er kollabiert und zu einem Neutronenstern wird.
Bild: Samuel Jones, LANL/HITS

Abhängig von ihrer Masse entwickeln sich Sterne im Laufe ihres Daseins sehr unterschiedlich. Sterne geringer Masse, wie etwa unsere Sonne, werden am Ende zu Weißen Zwergen. Massereiche Sterne hingegen „sterben“ in einer spektakulären Explosion, die man als Supernova bezeichnet, und lassen entweder einen Neutronenstern oder ein schwarzes Loch zurück. Aber wo liegt die Grenze zwischen diesen beiden Optionen? Das Schicksal von Sternen mittlerer Masse, die zwischen sieben und elf Sonnenmassen aufweisen, war bisher unklar. Dies ist erstaunlich, da sie in unserer Galaxie weitverbreitet sind.

Das Schicksal der Sterne mittlerer Masse hängt von einem winzigen Detail ab, nämlich wie leicht das Isotop Neon-20 im Inneren des Sterns Elektronen einfangen kann. Je nach der Häufigkeit, mit der Elektronen eingefangen werden, wird der Stern entweder in einer thermonuklearen Explosion zerstört oder er kollabiert und bildet einen Neutronenstern.

Im Jahr 2014 wiesen Theoretiker darauf hin, dass ein quantenmechanisch stark unterdrückter, bisher ignorierter und experimentell unbekannter Übergang zwischen den Grundzuständen von Neon-20 und Fluor-20 das letzte fehlende Puzzlestück zur Bestimmung der Elektroneneinfangsrate in Sternen mittlerer Masse ist.

Durch eine Kombination präziser Messungen des Beta-Zerfalls von Fluor-20 mit theoretischen Berechnungen gelang der internationalen Kollaboration nun die Bestimmung dieser wichtigen Rate. Das Experiment fand unter sehr viel friedvolleren Bedingungen statt als im Inneren von Sternen, nämlich am Beschleunigerlabor der Universität Jyväskylä in Finnland. Die Messungen ergaben einen überraschend starken Übergang zwischen den Grundzuständen von Neon-20 und Fluor-20. Dies führt zu einem Elektroneneinfang von Neon-20 bei einer sehr viel geringeren Dichte als bisher angenommen. Was bedeutet das für das Schicksal des Sterns? Eine detailgenaue dreidimensionale Computersimulation, die die Physics of Stellar Objects Gruppe am HITS und Forschern der XCP Division am Los Alamos national Laboratory, USA, durchführten, zeigt, dass es, entgegen bisheriger Annahmen, wesentlich wahrscheinlicher ist, dass der Stern von einer thermonuklearen Explosion zerstört wird, als dass er kollabiert und zu einem Neutronenstern wird.

Das Ergebnis dieser Untersuchung ist der letzte, bisher fehlende Baustein, um die nuklearen Prozesse zu verstehen, die im Innern eines Sterns kurz vor seinem Ende ablaufen. Da thermonukleare Explosionen deutlich mehr Material ausstoßen als solche, die von einem Gravitationskollaps ausgelöst werden, haben die Ergebnisse Auswirkungen auf die chemische Entwicklung von Galaxien. Das ausgestoßene Material ist reich an Titan-50, Chrom-54 und Eisen-60. Daher könnten ungewöhnliche Titan- und Chrom-Isotopenverhältnisse, die man in einigen Meteoriten gefunden hat, sowie das Eisen-60, das in Tiefseesedimenten entdeckt wurde, von Sternen mittlerer Masse produziert worden sein und somit bezeugen, dass diese in unserer galaktischen Nachbarschaft in der fernen (Milliarden Jahre) und nicht so fernen (Millionen Jahre) Vergangenheit explodiert sind.

Im Licht dieser neuen Funde scheinen Sterne mittlerer Masse höchst wahrscheinlich in einer thermonuklearen Explosion zu enden, die eine weniger leuchtstarke Supernova vom Typ Ia und eine spezielle Art des weißen Zwergs erzeugt, der „ Sauerstoff-Neon-Eisen Weißer Zwerg“ genannt wird. Ob in Zukunft ein solcher weißer Zwerg gefunden wird, ist offen. Seine Entdeckung würde wichtige Einblicke in den Explosionsmechanismus ermöglichen.

Publikation:

O. Kirsebom et al., Discovery of an exceptionally strong beta-decay transition of 20F and implications for the fate of intermediate-mass stars, Physical Review Letters 123, 262701 – published 24 December 2019.

Viewpoint: „A Forbidden Transition Allowed for Stars“, by Carla Frohlich, in „Physics“, 24 December 2019.

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Über das HITS

Das HITS (Heidelberger Institut für Theoretische Studien) wurde 2010 von dem Physiker und SAP-Mitbegründer Klaus Tschira (1940-2015) und der Klaus Tschira Stiftung als privates, gemeinnütziges Forschungsinstitut gegründet. Es betreibt Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, der Mathematik und der Informatik. Zu den Hauptforschungsrichtungen zählen komplexe Simulationen auf verschiedenen Skalen, Datenwissenschaft und -analyse sowie die Entwicklung rechnergestützter Tools für die Forschung. Die Anwendungsfelder reichen von der Molekularbiologie bis zur Astrophysik. Ein wesentliches Merkmal des Instituts ist die Interdisziplinarität, die in zahlreichen gruppen- und disziplinübergreifenden Projekten umgesetzt wird. Die Grundfinanzierung des HITS wird von der Klaus Tschira Stiftung bereitgestellt.

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